125 Jahre Berufsfeuerwehr Aachen IV9399
Die Aachener Separatistentage im Spätherbst 1923.
Jenes Jahr - in Aachen unvergessen insbesondere wegen des Sonderbündlerputsches - ließ die Not der Menschen in´s Unermeßliche steigen. Das Geld verfiel in rasender Schnelle, so daß die Löhne oft tageweise gezahlt und eilends zum nächsten Kaufmann getragen wurden, damit man wenigstens noch etwas dafür bekam. Als die Geldnotierungen sich überschlugen, erfanden die Geschäftsleute den Multiplikator. Er hatte den Vorteil, daß nicht alle paar Stunden die Preisschilder geändert werden brauchten. Man korrigierte nur jenen Multiplikator, der angab, womit der im Schaufenster angegebene Preis jeweils malgenommen werden mußte. Als die Geschäftsleute jenes Rechenmittel erfanden, stand der Gulden auf 4,2 Millionen Mark.

Zu Hunger, Inflation und Arbeitslosigkeit kam die Politik der Siegermächte, die Besetzung des Ruhrgebietes, als Antwort darauf der passive Widerstand und in deren Folge die Einstellung des Bahnverkehrs mit der Konsequenz der - von der Bevölkerung boykottierten - Regiebahn.

Der Sonderbündlerputsch im Spätherbst 1923 war die bis dahin schwerste Prüfung der Stadt und ihrer Bürger. Ein Vorzeichen war am 16. September eine Massenversammlung in der Westparkhalle, wo vor einigen Tausend aus dem ganzen Rheinland herbeigeholten Sympathisanten die »Los von Berlin-Parole« verkündet wurde. In der Nacht zum 21. Oktober wurde es bitterernst: die Sonderbündler besetzten das Rathaus und andere Verwaltungsgebäude, vor allem auch die Regierung. Leo Deckers rief im Kaisersaal die »Rheinische Republik« aus. Die ersten schweren Zusammenstöße gab es einen Tag später, als die aufgebrachte Menge am Friedrich-Wilhelmplatz das Sekretariat der Putschisten stürmte und am Theaterplatz Separatisten in die Menge schossen. Am 23. Oktober vertrieb die Feuerwehr die Sonderbündler aus dem Rathaus, was zur Verhängung des Belagerungszustandes durch den belgischen Befehlshaber führte. Vier Tote und 16 Verletzte verlor die Polizei, als sie am 25. Oktober den Versuch unternahm, das Regierungsgebäude zu entsetzen. Wieder griff die belgische Besatzung ein, indem sie die Polizei ihrem Befehl unterstellte. Noch am gleichen Tage wurde die Hochschule geschlossen, den Studenten wurde aufgegeben binnen, 24 Stunden die Stadt zu verlassen. Höhepunkt und Ende des Putsches war endlich der 2. November. Am Vortag waren etwa 1000 Männer der Organisation »Freirheinland« nach Aachen gekommen und frühmorgens um 6 Uhr begann an jenem 2. November der Sonderbündlersturm auf das Rathaus.

Die Aachener Feuerwehr im Kampf mit den Separatisten.
Vor einigen Monaten, im Oktober 1933, jährten sich zum 10. Male die Tage der Separatistenherrschaft in Aachen; eine Zeit tiefster Erinnerung, aber auch eine Zeit echt deutschen Bürgergeistes und deutscher Treue. Und hierbei mit in vorderster Reihe, im Brennpunkt der Geschehnisse gestanden zu haben, ist eine der stolzesten Erinnerungen der Aachener Berufsfeuerwehr, die während ihres 62-jährigen Bestehens im Dienste der Aachener Bürgerschaft viele schwere Kampf- und Arbeitstage, aber auch manchen Ehrentag aufzuweisen hat.

Das Jahr 1923 ist für viele Kreise der Bevölkerung infolge der Geldentwertung, des passiven Widerstandes, des Kommunistenputsches im August und der Separatistenherrschaft im Oktober schwer gewesen und manche stille Heldentat, welche nicht in die Geschichte eingehen wird, weil sie unbekannt geblieben ist, hat von rechtem Bürgersinn und nationalem Bewußtsein gezeugt. Vom Beginn der Besatzungszeit an haben auch die Angehörigen der Berufsfeuerwehr in voller Erkenntnis ihrer Beamtenpflicht nicht nur bei der Ausübung ihres eigentlichen Dienstes als Schützer von Gut und Leben der Bürger, sondern stets auch dann zur Verfügung gestanden, wenn es galt, die Heimat und ihre Mitbürger vor Kommunismus und Separatismus zu schützen.

Karlsbrunnen Aachen Markt mit dem Kaufhaus Vonhoff-Wildt aus dessen 1. Stock die Separatisten auf das Rathaus schossen



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Im August 1923 versuchten die Kommunisten, die allgemeine Not, welche durch die Inflation, die damit verbundene Arbeitslosigkeit und die Auswirkungen des passiven Widerstandes, während des Ruhreinbruches verursacht war, - Aachen an der westlichsten Grenzecke des Reiches war damals monatelang von den deutschen Brüdern rechts des Rheins getrennt - für ihre verbrecherischen Ziele auszunutzen. Nach verschiedenen Einzelkämpfen sollte am 15. August der Hauptschlag folgen. Nach einem Zuge durch die Stadt versuchten die Kommunisten, das Polizeipräsidium zu erstürmen. Hier wurden sie von der Polizei abgeschlagen. Rund 20 Tote und über 100 Verletzte waren die Opfer. Die Berufsfeuerwehr wurde durch den Feuermelder Kasernenstraße alarmiert und, als die Wache Vinzenzstraße dort eintraf, von den Haufen in der Mörgensgasse und den angrenzenden Straßen, wohin sie vor der Polizei zurückgewichen waren, mit Pfuirufen und Todesdrohungen empfangen. Unbekümmert um ihr Leben aber ging die Feuerwehr, nachdem sie die anderen alarmiert hatte, daran, die Toten und Verwundeten zu bergen. Alle Geräte, Krankenwagen, Personenwagen usw. wurden herangezogen, und nach kurzer Zeit war das Schlachtfeld geräumt.

Der Kampf hatte zur Folge, daß der Pöbel versuchte, die Kaufläden zu plündern. Die Geschäftsleute, welchen infolge der Aufruhrbewegung ein genügender Polizeischutz nicht zur Verfügung gestellt werden konnte, alarmierten eben das Mädchen für alles", die Feuerwehr; und auch hier wurde durch deren Eingreifen mancher Schaden verhütet. Drei Tage lang waren die Fahrzeuge der Wachen dauernd unterwegs, und oft genügte schon das Erscheinen eines Fahrzeuges oder das näherkommende Glockensignal der Feuerwehr, um das feige Gesindel zu vertreiben. Am 18. August war die Polizei wieder Herrin der Lage, und allmählich kehrte Ruhe ein.

All das war nur ein Vorspiel und Generalprobe für kommende schwere Kämpfe gewesen. Im Laufe des Sommers erhoben die Separatisten immer bedrohlicher ihr Haupt. Es sei nur an den Blutsonntag in Düsseldorf und an den Separatistenaufmarsch in Aachen erinnert. In der Junkerstraße und am Elisenbrunnen wurden hierbei auch Mitglieder der Berufsfeuerwehr schwer mißhandelt, als sie ihre treudeutsche Gesinnung unverhohlen zum Ausdruck brachten.

Die Stadtverwaltung trat damals an die Leitung der Feuerwehr heran, ihr zum Schutz der städtischen Gebäude Feuerwehrleute zur Verfügung zu stellen. Leute vom Dienst waren nicht zu entbehren, da in der unruhigen Zeit die Löschzüge unter allen Umständen voll besetzt werden mußten. Sofort sprangen die dienstfreien Mannschaften ein. Durch sie wurde im Rathaus ein Wachdienst eingerichtet, um so der Verwaltung ein ruhiges Arbeiten zu ermöglichen. Bewaffnet waren die Mannschaften mit Eichen- oder Buchenknüppeln aus dem Aachener Wald und mit ihren Feuerwehrbeilen.

So vergingen Sommer und Herbst, und es schien schon fast, als ob die Rheinische Republik" bloßes Gerede bleiben sollte. Es kam jedoch anders. Am Samstag, dem 23. Oktober 1923, sollte wieder eine Wache zum Rathaus ziehen, im letzten Augenblick aber kam ein Gegenbefehl, angeblich weil keine Gefahr bestehe. Und doch sollte gerade an diesem Tag das Verhängnis hereinbrechen. In der Nacht gegen 2 Uhr wurde die Feuerwehr nach dem Sandkaulbach Ecke Alexanderstraße gerufen, weil infolge eines wolkenbruchartigen Regens dort eine Überschwemmung entstanden war. Bei dieser Gelegenheit gesellte sich ein Aachener Kaufmann zu der Feuerwehrmannschaft und fragte, ob sie wieder eine Wache im Rathaus hätte; die Sonderbündler wollten dort in der Morgenfrühe die Rheinische Republik ausrufen. Sofort nach Rückkehr meldete die Mannschaft diesen Vorfall dem Branddirektor, der aber nach Rücksprache mit den zuständigen Stellen versicherte, es seien keinerlei Anzeichen eines Putsches bemerkt worden, und eine Wache daher überflüssig. Die Feuerwehrleute aber, die am Sonntag früh zum Dienst kamen, brachten schon die Mitteilung: vom Rathaus wehe die grün-weiß-rote Fahne, und die Rheinische Republik sei da! Bald sollte die Feuerwehr auch die Gewißheit haben, daß dies stimmte!

Kurz nach 8 Uhr bewegte sich ein Zug der Putschisten über den Kaiserplatz und schwenkte zur Oligsbendengasse ein. Ihr Führer verlangte den Vorsteher der Feuerwache zu sprechen und wurde an den Brandingenieur Senf verwiesen. Von diesem forderte er die bedingungslose Herausgabe der Krankenwagen, da er die Fahrzeuge mit zur Regierung nehmen wolle. Auf die Weigerung des Brandingenieurs, die Wagen herauszugeben, drohte er mit Gewalt. Da die Gegner in der Übermacht und schwer bewaffnet waren, mußte die kleine Wachbesetzung nachgeben und zusehen, wie die Separatisten mit den Krankenwagen 1 und 3 abzogen. Nach dem 1. Schreck aber regte sich sofort der Widerspruch. Man schwor, sobald wie möglich, die Wagen zurückzuholen. Da die Polizei auf Anruf mitteilte, sie sei machtlos, war man auf Selbsthilfe angewiesen. Von der Direktion wurde angeordnet, daß bis auf weiteres der Alarmdienstwagen und die Stadtwagen 2 und 3 den Krankentransportdienst ausüben sollten. Unterdessen wurde versucht, durch List die Krankenwagen wieder in den Besitz der Feuerwehr zu bringen, ein immerhin gewagtes Unternehmen,



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da die Krankenwagen stark besetzt und die Separatisten bewaffnet waren. Am Dienstag Morgen glückte der Plan. Der Feuerwehrmann Schlenter I und der Samariter Herzog, welche an dem Kampf in der Ursulinerstraße beteiligt waren, sahen den Krankenwagen 1 zum Hof fahren und schlichen demselben nach. Als die Wagen hielten, sprangen sie hinauf, riefen den Umstehenden zu, die Sonderbündler hätten der Feuerwehr die Wagen gestohlen und fuhren los.

Auch der zweite Wagen war inzwischen gefunden worden. Durch Nachforschungen war festgestellt worden, daß derselbe in der Friedenstraße in einer Garage untergestellt war. Sofort machten sich Oberfeuerwehrmann Köhler und Feuerwehrmann Fischer III auf und brachten den Wagen auch richtig nach Hause. Alle Versuche der Sonderbündler, die Wagen zurückzuerhalten, schlugen fehl bis zum Donnerstag nach dem Sturm der Polizei auf die Regierung. Auf dringendes Anfordern zum Transport der verwundeten Schupobeamten fuhren die Wagen dorthin. In der Nähe des Regierungsgebäudes wurden sie von Belgiern angehalten und sollten in die Regierung hineinfahren. Der Wagen 1 versuchte dennoch zu entkommen. Er wurde indes schwer beschossen und erhielt 2 Kugeleinschläge in den Führersitz. Nur einem Zufall ist es zu verdanken, daß der Fahrer und der Samariter nicht verletzt wurden. Als dem Wagen sich in der Borngasse Belgier entgegenstellten, mußten sie den Fluchtversuch aufgeben und zum Regierungsgebäude hineinfahren. Auch der Krankenwagen 3 war inzwischen von der belgischen Besatzung gezwungen worden, in den Hof des Regierungsgebäudes zu fahren. Die Besatzung beider Wagen wurde von den Sonderbündlern beschimpft, mißhandelt und mit dem Tode bedroht. Nach fünfstündiger Gefangenschaft wurden sie aus dem Gebäude herausgetrieben unter der Drohung, sie würden sofort erschossen, wenn sie nochmals etwas gegen Freirheinland unternähmen. Außer den Krankenwagen waren auch der Alarmdienstwagen und der Stadtwagen 2 zum Transport der verwundeten Polizeibeamten zur Regierung beordert worden. Der Besatzung dieser Wagen erging es nicht besser als ihren Kameraden. Als der Feuerwehrmann Jaqué entgegen dem Befehl der Sonderbündler einen verletzten Polizeibeamten anstelle eines verwundeten Separatisten aufheben und abtransportieren wollte, bekam er von hinten einen Kolbenhieb, der ihn über den verwundeten Polizeibeamten zusammenbrechen ließ. Dem Oberfeuerwehrmann Jansen erging es ähnlich. Die Krankenwagen waren für die Feuerwehr unerreichbar geworden und erst nach dem Abzug der Separatisten am 2. November konnten sie in der Regierung, wo sie unbenutzt gestanden hatten, wieder abgeholt werden. Die Sonderbündler hatten nicht mehr den Mut aufgebracht, sich mit den Wagen auf der Straße zu zeigen.

Das rücksichtslose Schießen der Sonderbündler in den Straßen der Stadt forderte viele Opfer an mehr oder minder schwer Verletzten, ja sogar an Toten. Überall hin wurde Hilfe verlangt. Ohne Rücksicht auf Gefahr hat jeder Feuerwehrmann auch hier seine Pflicht getan.

So kam der 23. Oktober heran. Der Sturm auf das Separatistennest am Elisenbrunnen hatte tags zuvor den Bündlern gezeigt, daß die Aachener Bürger nicht gut auf sie zu spre-

Beim Seperatistenputsch errichtete Barrikade an der Ursulinerstraße, Ecke Münsterplatz



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chen waren. Außer dem Regierungsgebäude war nur noch das Rathaus von ihnen besetzt, Brandingenieur Senf erfuhr am Morgen des 23. Oktobers, einem Dienstag, von einem Mitläufer der Putschisten, daß das Rathaus nur noch schwach besetzt sei. Er eilte zur Feuerwache in der Vinzenzstraße und benachrichtigte den Branddirektor. Derselbe ordnete sofort die Alarmierung der Wache an und rückte mit dem Löschzug vor das Rathaus. Alles was in der Feuerwache zugegen war, hatte sich der Fahrt angeschlossen. Die Feuerwehr stürmte die Rathaustreppe hinauf und bemächtigte sich des Gebäudes. Im Ausgang zur Ritter-Chorus-Straße wurde noch ein Sonderbündler in Haft genommen. Seine Spießgesellen hatten noch Zeit gehabt, zu flüchten. Sofort wurde das ganze Haus durchsucht. Die vom Marktturm und vom Verwaltungsgebäude wehenden Separatistenfahnen wurden gekappt und dafür deutsche Fahnen gehißt. Der Jubel der den Markt füllenden Bevölkerung war grenzenlos und die Feuerwehr war Heldin des Tages. Bürgermeister Wickmann hielt eine Ansprache und das Aachener Trutzlied Vür sönd allemoele Oecher Jonge" ersetzte die von der Besatzung verbotene deutsche Nationalhymne.

Durch diesen Handstreich der Feuerwehr war den Putschisten nicht nur ein wertvoller Stützpunkt entrissen, sondern ihnen auch eine moralische Schlappe beigebracht worden, deren Folgen nicht zu übersehen waren. Hatten sie doch auf dem geschichtlichen Boden des alten Kaisersaales erst drei Tage zuvor ihre Rheinische Republik ausgerufen, und jetzt war ihnen dies Symbol des Deutschtums in der Westmark wieder entrissen. Der Bevölkerung aber war neuer Mut eingeflößt zum weiteren Widerstand gegen die Verräter.

Die Wehr war sich keinen Augenblick darüber im unklaren, daß die Sonderbündler nichts unversucht lassen würden, diese Schlappe auszumerzen und das Rathaus zurückzugewinnen. Sofort wurde alles zur Verteidigung Notwendige in die Wege geleitet. Erster Befehl war: Die dienstfreie Zeit aller Angehörigen der Feuerwehr wird bis auf weiteres aufgehoben."
Von den Separatisten im Kaisersaal hinterlassene Bombe
Alle Türen des Rathauses und des Verwaltungsgebäudes wurden geschlossen und nur das Hauptportal auf dem Markt unter strenger Kontrolle geöffnet gehalten.

Sofort nach der Besetzung des Rathauses wurde der Dienst auf den Feuerwachen umgestellt. Was nicht zur Besetzung der Feuerlöschzüge usw. benötigt wurde, kam zum Rathaus zur Bewachung. Dieser Dienst wechselte sich mit dem Löschzugdienst ab, und viele sind in den 12 Tagen nicht mehr bei ihren Familien gewesen. Die meisten kamen damals garnicht mehr aus ihren Kleidern heraus; denn waren sie nicht auf dem Rathause, so hatten sie Feuerlöschdienst, standen auf dem Horchposten oder wurden sonstwie gegen das Separatistengesindel eingesetzt.

Kurz nachdem die Feuerwehr das Rathaus besetzt hatte, verlangte der Offizier der belgischen Rathauswache, daß der Markt abgesperrt werde - wahrscheinlich weil es den belgischen Freunden der Putschisten nicht mehr allzu wohl in ihrer Haut war. So wurde ein Teil der Feuerwehrleute vom Rathaus zur Räumung des Marktes bis zu den Einmündungsstraßen befohlen. Den Belgiern ging die Sache nicht schnell genug und der als Förderer des Putsches sattsam bekannte Leutnant der Sureté, Peters, konnte an den Feuerwehrleuten seinen Zorn auslassen. Andauernd schimpfte er hinter den Mannschaften her und ließ, wo nach seiner Ansicht gebummelt wurde, seine Reitpeitsche spielen. Wehe ihm, wenn nicht die Macht der Besatzungsmächte hinter ihm gestanden hätte.

Inzwischen organisierte die Branddirektion die Verteidigung des Rathauses, welches nun auch Sitz der preußischen Regierung war. Hauptträgerin der Bewachung war die Feuerwehr. Die Leitung hatte der jeweils dienstälteste städtische Beamte in Verbindung mit dem Branddirektor oder einem der Feuerwehr-ingenieure. Alles, was im Löschdienst abkömmlich war, ein-schließlich der dienstfreien Leute, ging von der Feuerwehr zum Rathaus. Dazu traten für die Nacht eine Anzahl Beamte, Angestellte und Arbeiter der Stadtverwaltung. Die Feuerwehrmannschaften wechselten jeden Morgen um 8 Uhr und zogen dann zur Feuerwache, um Feuerlöschdienst zu machen. Von der belgischen Besatzung war verboten worden, Waffen mitzuführen oder bereitzuhalten. Selbst die Feuerwehrleute schienen ihr noch allzu gefährlich. Es wurden deshalb Holzknüppel besorgt, Pflastersteine herangeschleppt und alles was eine Waffe abgeben konnte, bereitgelegt. Die Feuerlöschhähne des Rathauses und der Hydrant im Hofe desselben wurden angriffsfertig gemacht, um für alle Fälle gerüstet zu sein.



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Ein wichtiges Gebiet war der Kundschafterdienst. Um die Vorgänge im Regierungsgebäude am Theaterplatz dauernd überwachen zu können, wurde im Stadttheater ein Horchposten aufgestellt, der Tag und Nacht den Betrieb in der Regierung, wo sich noch immer das Hauptquartier der Putschisten befand, zu beobachten und fernmündlich zur Feuerwache Bericht zu erstatten hatte. So war die Leitung der Abwehr stets auf dem laufenden. Außerdem spionierten Feuerwehrleute unter allen möglichen Verkleidungen dauernd herum, um das Neueste von den Sonderbündlern zu erfahren.

Auf dem Rathaus wurde die Telefonzentrale von der Feuerwehr besetzt. So war alles geschehen, um das Rathaus zu sichern und jede Bewegung der Sonderbündler zu beobachten. Verpflegung für die Feuerwehr gab´s aus der Stadtküche.

Ein humoristischer Zwischenfall unterbrach eines Tages die Eintönigkeit des Wacheschiebens. Plötzlich erschien ein Lastwagen vor dem Rathaus, besetzt mit Separatisten. Ahnungslos stiegen sie die Treppe hinan und traten in die Vorhalle. Die Türkontrolle der Feuerwehr fragte nach ihrem Begehr. Die Antwort war: Wir kommen von Rheydt und sind beauftragt, hier im Rathaus Requistionsscheine zu empfangen und dann mit Lebensmitteln wieder zurückzufahren!" Sie wurden ins Rathaus hineingeführt und wunderten sich, daß ihre Freunde nicht mehr da waren, hatte man ihnen doch versichert, ganz Aachen sei eins mit den Sonderbündlern. Und was hatten diese Leute Hunger! Die Feuerwehrleute machten sie erst satt und dann wurden sie von Polizeibeamten abgeholt. Sie waren sichtlich froh, aus dem Schlamassel herauszukommen. So kam schließlich der Allerheiligentag heran. Immer mehr verdichteten sich die Gerüchte von einem Angriff, den die Sonderbündler mit starken Kräften auf das Rathaus machen wollten. Am Abend des 1. Novembers wurde nochmals durch Freiwillige der Feuerwehr, eine Verstärkung der Rathausbesatzung herbeigeführt, so daß alle besonders gefährdeten Punkte mit je zwei Feuerwehrleuten besetzt werden konnten. In der Frühe des folgenden Tages ging´s denn auch wirklich los. Gegen 5 Uhr morgens kamen die Freirheinländer" zuerst in kleinen Trupps, dann rückten immer größere Abteilungen heran und umzingelten das Rathaus. Dadurch, daß ein paar Sonderbündler früher einige Zeit bei der Feuerwehr tätig waren, wußten sie mit den Straßenhydranten Bescheid.
2. November 1923: Nach dem Separatistensturm auf das Rathaus
Nachdem sie alle Feuermelder, welche um das Rathaus herumlagen, gezogen, und hierdurch die Feuermeldezentrale der Wache unbrauchbar gemacht hatten, öffneten sie alle Hydranten, um so den Verteidigern eine wirksame Waffe aus der Hand zu nehmen. Der Druck in der Rathauswasserleitung sank, und eine Verteidigung mit Wasser wurde unmöglich. Kurz nach 1/2 6 Uhr kam die erste Aufforderung der Sonderbündler an die Besatzung des Rathauses, dasselbe zu räumen. Das wurde natürlich abgelehnt, und jetzt schritt man zur gewaltsamen Wegnahme des Gebäudes. Die Polizei konnte keine Hilfe bringen, da sie unter den Befehl der Besatzung gestellt worden war. Feuerwehrmann Passmann stieg zum Marktturm hinauf und läutete Sturm. Brandingenieur Rietzel versuchte verschiedentlich, die belgische Rathauswache zum Eingreifen zu bewegen, stieß aber auf glatte Ablehnung. Rietzel wurde schließlich das Betreten der Wachräume schon auf der Treppe verboten. So tobte denn der Kampf mit ungleichen Waffen stundenlang hin und her. Als Waffen dienten den tapferen Verteidigern des Rathauses neben Pflastersteinen noch Salmiakgeist und eine Menge leerer Bierflaschen, die als willkommene Wurfgeschosse betrachtet wurden. Gegen die übermächtigen Feinde, die mit Waffen aller Art ausgerüstet waren, mußte indes das kleine Häuflein ohne Schußwaffen schließlich unterliegen. Aber jeder Schritt rückwärts wurde teuer verkauft. Nach heldenmütiger, vierstündiger Verteidigung mußte man sich entschließen, der Übermacht zu weichen. Ein Trupp Separatisten war von der Rathaustreppe in das Zimmer der belgischen Bezirksdelegierten, das zu Betreten den Verteidigern streng verboten war, eingestiegen und hatte sich von hier aus einen Weg in die anderen Räume gebahnt. Ein anderer hatte das Hauptportal des Rathauses gesprengt und drang von hier aus vor. Brandingenieur Rietzel, der einsah, daß



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Separatisten in der Aachener Innenstadt
Widerstand zwecklos geworden war, trat mit seiner tapferen Schar den Rückzug zum Verwaltungsgebäude an. Er konnte noch die Abschlußtür zwischen den beiden Gebäuden verriegeln lassen. In der Hitze des Gefechts war es aber einem Teil der Besatzung des Krönungssaales - in der Hauptsache Feuerwehrmänner - nicht mehr gelungen, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Auf der Kaisersaaltreppe mußten sie sich den Eindringlingen ergeben. Mit Schlägen und unter Beschimpfungen und Todesdrohungen wurden sie aus dem Rathaus auf den Markt getrieben, von wo sie später mit anderen Gefangenen auf Lastwagen zum Regierungsgebäude gefahren wurden. Einem Teil der durch das Verwaltungsgebäude zurückgehenden Verteidiger gelang es, durch die an das Rathaus angrenzenden Privathäuser, nachdem sie sich von deren Bewohner Zivilkleider entliehen hatten, zu entkommen. Ein Teil wurde auch hier gefangen genommen. Auf dem Wege zur Regierung erlitt der Oberfeuerwehrmann Beckers, der auf der Kaisersaaltreppe gefangen genommen wurde, einen Nervenzusammenbruch, der ihn späterhin für den Feuerwehrdienst untauglich machte.

Der Kampf war zu Ende, aber die Verteidiger des Rathauses hatten ehrenvoll gestritten, und selbst der Gegner mußte ihnen Hochachtung zollen. Wollte er doch nicht glauben, daß nur die paar Mann, etwa 40 Feuerwehrbeamte und Angestellte und kaum 100 sonstige Beamte, Angestellte und Arbeiter, 4 Stunden lang gegen eine Macht von über 3000 Sonderbündler standgehalten hatten.

Bald nach dem Falle des Rathauses machten sich die Sonderbündler daran, die anderen Dienststellen zu überwältigen. Zuerst erschienen sie in großer Anzahl in der Feuerwache Oligsbendengasse, riegelten diese ab und ließen die noch dort befindlichen Beamten antreten. Brandingenieur Senf mußte seinen Säbel abliefern. Dann gingen sie in die Aufenthaltsräume und durchsuchten alles. Mäntel, Beile und allerlei Wert-sachen wurden mitgenommen. Die Frauen der in der Wache wohnenden, mußten unten antreten und wurden unter schweren Drohungen gezwungen, in ein Hoch auf die Rheinische Republik einzustimmen. Hierauf wurden die Feuerwehrleute unter starker Bewachung zur Regierung abgeführt, wo Brandingenieur Senf in Einzelhaft gehalten wurde.

Mittlerweile war ein anderer Trupp der Putschisten, die sogenannte Kompagnie Koblenz, zur Vinzenzstraße marschiert, um auch dort die Feuerwache zu besetzen. Trotzdem die Besatzung der Feuerwache nach dem Fall des Rathauses die Weisung von ihren Vorgesetzten erhalten hatte, keinen unnützen Widerstand zu leisten, war zuerst versucht worden, das Öffnen der Tore solange wie möglich hinauszuschieben. Schließlich verging dem Führer der Sonderbündler die Geduld, und er bedeutete dem Sprecher der Wache, dem Verfasser dieser Schilderung, er werde von seinen Waffen Gebrauch machen, wenn nicht unverzüglich geöffnet würde. Brandmeister Mohr erklärte ihm, er weiche nur der Gewalt und nehme keine Befehle in der Ausübung des Dienstes von ihm an. Außerdem mache er ihn darauf aufmerksam, daß er sofort die Besatzung benachrichtigen werde, wenn er die Feuerwehrleute abführen lasse, wie sie es in Wache 2 gemacht hätten. Die geforderte Unterkunft in den Räumen der Wache wurde den Separatisten verweigert. Sie mußten sich neben der Wache in der Volksschule einquartieren.

Brandingenieur Rietzel, welcher die Verteidigung des Rathauses geleitet hatte, war eine gesuchte Persönlichkeit und wehe ihm, wenn er in die Hände der Banditen gefallen wäre. Er war, nachdem ihm sein Rückzug aus dem Rathaus in letzter Minute gelungen war, zu einer befreundeten Familie in der Stephanstraße geflüchtet. Branddirektor Schulzen, welcher ebenso gesucht wurde, hatte auch seine Wohnung verlassen. Die noch auf der Wache befindlichen Feuerwehrleute sollten mit der Lüge geködert werden, ihre Kameraden im Regierungsgebäude hätten bereits ihren Übertritt zur neuen Regierung vollzogen. Niemand glaubte es. Alle waren vielmehr der festen Überzeugung, daß dieses Gebilde der Republik Freirheinland" nur von kurzem Bestand sein konnte.

Gegen 14 1/2 Uhr kam denn auch die Kunde, daß die Besatzung der Sonderbündler den Abzug angeordnet hatte. Als die Feuerwehrleute in der Vinzenzstraße nachsehen wollten, ob noch welche in der Schule zurückgeblieben wären, sahen sie die letzten um die Ecke des Annuntiatenbaches verschwinden.



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So war der blutige Spuk vorbei. Neben dem großen Sachschaden hatte es Tote und viele Verletzte gegeben. Mit besonderem Jubel empfingen die Feuerwehrleute ihre Kameraden, welche gegen 17 Uhr aus der Gefangenschaft von der Regierung zurückkamen. Das Rathaus wurde wieder unter den Schutz der Feuerwehr gestellt. Aber wie sah es dort aus! Sinnlos war alles entzweigeschlagen und durcheinandergeworfen. Doch das Recht hatte über das Unrecht, deutsche Treue über Verräterei gesiegt.


Aachener Anzeiger Politisches Tageblatt

vom 2. November 1923

Zusammenbruch des Aachener Separatistenputsches.

Der Sturm auf das Rathaus Nachdem die Separatisten ihre Angriffe auf das Rathaus verstärkt hatten, gelang es ihnen gegen 10 Uhr, das Gebäude in Besitz zu nehmen. Die Separatisten hatten, nachdem sie vergeblich mit der Bewachung des Rathauses wegen der Übergabe des Gebäudes verhandelt hatten, den Platz vor dem Rathaus und die umliegenden Straßen in weitem Umfang abgesperrt. Auf dem Marktplatz wurden Barrikaden errichtet und von den Fenstern der gegenüberliegenden Gebäude mit verschiedenartigen Waffen geschossen. An der rechten Seite hatte man Leitern angelegt, um durch die bereits eingeschlagenen Fenster in das Innere zu gelangen. Indessen hielt sich die Bewachung des Rathauses, ein paar Beamte und Feuerwehrleute, mit heldenmütigstem Widerstand. Während die Angriffe noch von anderen Seiten erfolgten, wogte der Kampf im Inneren des Gebäudes. Schließlich mußten die braven Rathauswächter der mit stärkeren Waffen ausgerüsteten Übermacht weichen. Ein Teil der Feuerwehrleute geriet in die Hände der Separatisten, die die Verteidiger auf einem Lastwagen nach dem Regierungsgebäude abführten. Sofort nach der Besitzergreifung des Rathauses wurde die separatistische Flagge gehißt. Nach der Erstürmung des Rathauses durchzogen separatistische Söldner singend die Straßen.

Auf Intervention mußten heute nachmittag das Regierungsgebäude und das Rathaus wieder von den Separatisten geräumt werden. Die Räumung vollzog sich von 2 Uhr an unter Aufsicht der Besatzung, die auch zugleich das Regierungsgebäude in Bewachung nahm. Die nach dem Bahnhof abziehenden Separatisten gaben als Abschiedsgruß noch einige Salven ab.

Vereinzelte Separatisten, die den Anschluß an ihre Genossen versäumt hatten, wurden von der aufgeregten Menge verprügelt und einigen dabei übel mitgespielt. Nach der Räumung des Regierungsgebäudes wurden die in Gefangenschaft gehaltenen Feuerwehrleute von der Besatzung in Freiheit gesetzt und von der Menge mit Jubel empfangen.

Gelegentlich eines Umzuges fielen den Separatisten heute vormittag auch zwei Schutzleute in die Hände, die sofort entwaffnet und gezwungen wurden, vor dem Zug zu marschieren. Die beiden Beamten sind bereits wieder in Freiheit.

Wie wir hörten, wurden den Separatisten der Befehl zugestellt, bis heute nachmittag 4 Uhr die Stadt zu verlassen. Von dieser Zeit an übernimmt die deutsche Schutzpolizei zusammen mit der belgischen Gendarmerie den Ordnungsdienst.

Die Opfer des Tages.
Im Luisenhospital liegen 8 Verwundete, darunter eine Frau. Die Verletzungen sind leichterer Art meist Arm- oder Beinschüsse. Unter den Verwundeten befinden sich ein Ingenieur und zwei Bergarbeiter von der Zeche Karl Friedrich bei Richterich. Von dieser Zeche waren heute früh auf den Hilferuf der Stadt hin etwa 200 Bergarbeiter hierhergeeilt, um die Sonderbündler zu vertreiben. Sie wurden in der Pontstraße von den Sonderbündlern mit Gewehr- und Pistolenfeuer empfangen.

Im Mariahilfkrankenhaus liegen 10 Verwundete, alles Männer, mit zum Teil schweren Verwundungen. Zwei Tote wurden ebenfalls dorthin gebracht und dem Leichenhaus des Elisabethkrankenhauses zugeführt; es sind ein Aachener Einwohner namens Walraven und ein Sonderbündler aus Duisburg. Von der Feuerwehr wurden ein Oberfeuerwehrmann durch einen Kopf- und einen Handschuß und ein Feuerwehrmann durch einen Kopfschuß verwundet; sie befinden sich im Mariahilfkrankenhaus. Bis zum Schlusse unseres Blattes hatten sich noch nicht alle Feuerwehrleute wieder zurückgemeldet.

Ins Marienhospital (Burtscheid) wurden drei, zum Teil Schwerverletzte gebracht, einer hat einen Lungenschuß, einer einen Schulterschuß und einer einen Oberschenkelschuß. Es ist ein 15-jähriger Junge unter den Verletzten; es sind alles Unbeteiligte.

Wie wir weiter hören, wurde bei der Erstürmung des Rathauses der Sohn der in der vorigen Woche von den Separatisten getöteten Frau Küpper erschossen.



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