125 Jahre Berufsfeuerwehr Aachen IV100104
Der Brand der Aachener Synagoge

Der Pogrom
(Juden in Aachen von Manfred Bierganz und Annelie Kreutz)

Am 28. Oktober 1938 begann das Auswärtige Amt, durch Sonderaktionen mit Hilfe der Gestapo polnische Juden über die polnische Grenze "abzuschieben", die durch Pläne Polens von der Staatenlosigkeit bedroht waren. Zu den "Abgeschobenen" gehörten auch die Eltern und Geschwister des 17-jährigen Herzel Grynszpan aus Hannover, der unter bedrückenden Umständen in Paris lebte und nun glaubte, sich und die Familie für das erlittene Unrecht rächen zu müssen. Am 7. November 1938 verwundete er im Gebäude der Deutschen Botschaft in Paris den Gesandtschaftssekretär Ernst von Rath, einen jungen Beamten, durch mehrere Pistolenschüsse tödlich.

Die Wirkung dieser Tat glich der des Reichstagsbrandes vom Februar 1933.

In Berlin sprach man von einer "Verschwörung des Weltjudentums" gegen das Deutsche Reich. Die nationalsozialistische Presse und die örtlichen Parteistellen reagierten prompt. Joseph Goebbels Hetzrede anläßlich des jährlichen Treffens der sogenannten "alten Kämpfer" am 9. November 1938 in München, in der er gegen 22.00 Uhr den Tod von Raths bekannt gab und sich gleichzeitig lobend über die spontanen Vergeltungsaktionen in Kurhessen und Magdeburg-Anhalt äußerte, war das Startzeichen für den Pogrom. Sofort nach der Goebbels-Rede wurden die Dienststellen der Gauleiter und über sie die Kreis- und Ortsgruppen instruiert. Die nationalsozialistische Regierung gab der SA und SS freie Hand zu Terror und Zerstörung. Das entsprechende Fernschreiben der Gestapo hatte folgenden Wortlaut:










Berlin Nr. 234404                    9.11.2355

An alle Stapo-Stellen und Stapo-Leitstellen Dieses FS ist sofort auf dem schnellsten Wege vorzulegen.

  1. Es werden in kürzester Frist in ganz Deutschland Aktionen gegen Juden, insbesondere gegen deren Synagogen, stattfinden. Sie sind nicht zu stören. Jedoch ist im Benehmen mit der Ordnungspolizei sicherzustellen, daß Plünderungen und sonstige besondere Ausschreitungen unterbunden werden können.

  2. Sofern sich in Synagogen wichtiges Archivmaterial befindet, ist dieses durch eine sofortige Maßnahme sicherzustellen.

  3. Es ist vorzubereiten die Festnahme von etwa 20.000 - 30.000 Juden im Reiche. Es sind auszuwählen vor allem vermögende Juden. Nähere Anordnungen ergehen noch im Laufe dieser Nacht.

  4. Sollten bei den kommenden Aktionen Juden im Besitz von Waffen angetroffen werden, so sind die schärfsten Maßnahmen zu ergreifen. Zu den Gesamtaktionen können herangezogen werden Verfügungstruppen der SS sowie allgemeine SS. Durch entsprechende Maßnahmen ist die Führung der Aktionen durch die Stapo auf jeden Fall sicherzustellen.

Gestapo II Müller.
Dieses FS ist geheim.


Was hat die Feuerwehr Aachen mit dem Pogrom zu tun?

Nachfolgend ist der originale Einsatzbericht der Aachener Feuerlöschpolizei vom 10. November 1938 zu lesen. Da der Einsatzbericht nur als Kopie vorlag, kann man heute nicht mehr genau sagen, in welcher (politischen) Farbe das Original geschrieben wurde.

Im Anschluß sind Auszüge aus einem Bericht über die Zeugenvernehmung durch das englische Militärgericht 1945 zu lesen, worin zum Ausdruck kommt, daß auch die Feuerwehr Aachen von der Infiltration durch die SS und SA nicht verschont geblieben war. Somit ist dieses Ereignis ein bedauernswerter Teil der Geschichte unserer Feuerwehr.

(Alle nachfolgenden Berichte sind Abschriften der Originale, d.h. alle evtl. falschen Begriffe oder andere Fehler wurden übernommen.)



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Die Aachener Synagoge vor ihrer Vernichtung
Die neu errichtete Synagoge im Jahre 1996



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Auszug aus dem Deutschland-Bericht der Sozialdemokraten

In Aachen wurde die SA und die SS am 9. November nach Hause geschickt mit dem ausdrücklichen Befehl, sich am langen Turm in Zivil einzufinden. Und wenn sie "wie die Räuber aussähen", aber jeder habe zu erscheinen. Diese Kolonne hat sich dann ans Werk begeben. Voran ging die Gestapo, die die Listen sorgfältig vorbereitet hatte. Jedes Geschäft war vorgemerkt. Hinter der Gestapo kamen die Stoßtrupps und dahinter "sorgte die Polizei für Ordnung".

Gegen 12 Uhr nachts kam der Oberbrandmeister J., ein SS-Mann, von der SS-Versammlung zurück. Er weckte den Fahrer des Offizierwagens G. und gab ihm den Befehl, den SS-Führer Brandingenieur Sch. aus seiner Wohnung Tönnesrather Straße zu holen und sofort zum Polizeipräsidium zu fahren. Hier wurde dann die ganze Aktion ausgeknobelt. Um 3 Uhr morgens gab der Brandmeister J. einigen Oberfeuerwehrleuten den Befehl, sich in Zivil zu kleiden und marschfertig zu machen. Äxte wurden in den Wagen gelegt und mitgenommen. Darauf ging die Fahrt zur Polizeiwache Gasborn. Hier wartete schon der Polizeipräsident Z. Der Brandingenieur Sch. gab die Instruktionen zum Anzünden der Synagoge in der Promenadenstraße.

Dort traf gegen 3.45 Uhr das "Volk" ein, das "spontan" dabei sein mußte, nämlich der Herr Oberbürgermeister J., Kreisleiter der NSDAP, der zweite Bürgermeister Sch., der Polizeipräsident, der Brandingenieur, Kriminalbeamte und anderes Volk, außerdem verschiedene Polizisten in Zivil. Sonst war niemand da. Aber rund um den Brandplatz standen die Autos mit den Nummern 4379, 1524 und 36389, alles Lastwagen mit den SS- und SA-Leuten. Das war das übrige spontan angestürmte Volk.

Von den Autos sprangen einige Leute in Zivil herunter und schellten bei dem Pförtner der Synagoge. Da der Mann in so später Nacht nicht öffnete, holte man Äxte von den Wagen, erbrach die Tür, nahm den Pförtner und seine Frau fest; steckte sie in Haft und räumte schließlich alle Wertgegenstände aus der Synagoge aus. Nachdem man alles schön auf Lastwagen untergebracht hatte, erschien die Polizei. Aber nicht etwa, um die Gemeinheiten zu verhindern, sondern zu verhüten, daß Unbefugte dem nächtlichen Treiben zusehen konnten. Wer in der Nachbarschaft das Fenster öffnete, wurde angebrüllt: "Licht aus! Von den Fenstern weg!"

Um 4 Uhr wurde dann die Synagoge kunstgerecht in Brand gesteckt. Der Anführer war kein anderer als der Brandingenieur Sch., der sicher das meiste von solchen Sachen verstand. Aber es war wohl doch nicht alles so richtig gegangen, denn um 5 Uhr mußte man die Feuerwehr alarmieren, da die Gefahr bestand, daß Nachbargrundstücke in Brand gerieten. Plötzlich wurde gerufen: "Achtung, Sch., die Feuerwehr ist da." Und das ganze Gemüse, einschließlich des Sch., verdrückte sich. Das Gebäude allerdings ließ man ruhig brennen, man beschränkte sich lediglich darauf, die Nachbargrundstücke zu schützen. Der Oberbürgermeister und der Brandingenieur gerieten schließlich noch mit dem Polizeipräsidenten aneinander, weil sich hinter der Synagoge eine Garage mit erheblichen Benzinvorräten befand. So wurde der ganze Häuserblock bedroht, es gelang aber schließlich der Feuerwehr, das Feuer im wesentlichen auf die Synagoge zu beschränken.

Daß bei der Gelegenheit kräftig geklaut wurde, versteht sich von selbst. Aber nicht nur beim Synagogenbrand, sondern auch bei den nachfolgenden weiteren Aktionen. Der Polizeipräsident nahm sich wertvolle Bücher aus der Bibliothek mit. Brandmeister F. und Feuerwehrmann H., sowie der Feuerwehrmann K., alles tüchtige SS- und SA-Leute, wurden von der Kriminalpolizei mit Stoffballen erwischt.

Während die Synagoge den ganzen Tag über brannte, fiel der uniformierte Nazi-Pöbel über die jüdischen Geschäfte her. Sie wurden nicht nur zertrümmert, sondern auch ausgeräumt und geplündert.

Beim Schuhhaus Speyer wurden 7 Schaufenster eingeschlagen, innen wurde alles zerstört und die Waren auf die Straße gestreut.

Dasselbe geschah beim Konfektionshaus Stern und Marx, sowie beim Konfektionshaus Winterfeld in der Corneliusstraße. Ferner wurden geplündert: Gummiwarengeschäft Saul, Bettwarengeschäft Seelmann, Engrosgeschäft Bär, Restaurant Schild und viele andere Unternehmen. Nirgends war das Volk beteiligt. Es war lediglich die Nazi-Räuberbande, die alles zerschlug und ausraubte.



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Einsatzbericht
der Feuerlöschpolizei vom Brand
der Synagoge Promenadenstraße
am 10. November 1938


Das Gebäude stand bei Eintreffen der Feuerlöschpolizei in ganzer Ausdehnung in Flammen. Da die Synagoge von drei Seiten von Wohnhäusern umgeben ist und die Windrichtung die Gefahr noch erhöhte, war ein Übergreifen des Feuers auf diese Gebäude zu befürchten. Es mussten sämtliche verfüg-baren Geräte und Mannschaften herangezogen werden. Mit 2 B- und 12 C-Leitungen wurde das Feuer angegriffen.

Im Anfangsstadium des Brandes konnte man von 2 getrennten Brandherden sprechen; dem eigentlichen Brandherd in der Synagoge selbst, sowie im Dachgestühl. Das Feuer fand reiche Nahrung an den aus Eichenholz gefertigten Bänken. Durch das Zerspringen der Synagogenfenster und dem Übergreifen des Feuers auf die Orgel, verbanden sich beide Brandherde zu einem Großfeuer riesigen Ausmaßes. Durch einen allumfassenden Angriff, insbesondere durch den schneidig vorgetragenen Innenangriff mit 2 B - und 6 C - Leitungen war die Feuerlöschpolizei nach 2 Stunden Herr der Lage. Wegen der starken Verqualmung in den beiden Türmen mussten die dort eingesetzten Trupps mit Sauerstoffschutzgeräten vorgehen. Zwei C - Leitungen wurden über die mechanische Leiter vorgenommen. Da sich im Innern der Synagoge eine ungeheure Hitze entwickelte, hatten sich die Hauptmauern in ihrem oberen Teil stark nach aussen gesetzt und drohten einzustürzen. Hierdurch waren die angreifenden Trupps ausserordentlich gefährdet. Noch während der Löscharbeiten stürzte der schwere Dachstuhl zusammen. Nur einem glücklichen Zufall und dem blitzschnellen Handeln der angreifenden Trupps ist es zu verdanken, daß kein Beamter der Feuerlöschpolizei ernstlich verletzt wurde. Zur Vorsicht wurden die Nachbarhäuser mit zwei C - Leitungen berieselt, da dieselben mit Strohdocken unterdeckt sind und durch den Funkenflug arg gefährdet waren. Das Innere der Synagoge ist restlos ausgebrannt. Nach 2-stündiger harter Arbeit gelang es den beiden Löschzügen und den zur Unterstützung herbeigerufenen dienstfreien Mannschaften das Grossfeuer auf seinen eigentlichen Herd zu beschränken. Die Löscharbeiten nahmen allerdings noch den ganzen Tag in Anspruch, ebenso musste am folgenden Tage die zurückgelassene Brandwache mehrmals neu aufflackernde Brandherde löschen.

Vor Beginn des Löschangriffs wurde der Hauptgashahn abgesperrt und die elektrischen Leitungen ausser Spannung gesetzt.





Auszug aus dem Protokoll über die
Zeugenvernehmung durch den
Staatsanwalt in einem Strafverfahren
gegen die Menschlichkeit


F: Sahen Sie später Männer bei der Synagoge selbst?

A: Ja.

F: Sahen Sie, was sie taten?

A: Ja, sie hatten Äxte und sie machten ein Loch in das Dach der Synagoge.

F: Hatte das Loch irgendeine Wirkung auf das Feuer?

A: Ja, ich sah wie das Loch gemacht wurde und wie danach das Feuer größer wurde und die Flammen hoch über das Gebäude hinausschlugen.

F: War es zu dieser Zeit noch dunkel oder wurde es heller?

A: Es begann, hell zu werden.

F: Erkannten Sie in diesem Augenblick, als das Loch gemacht wurde und die Flammen höher wurden, einen der Angeklagten in der Nähe der Synagoge?

A: Nein, das konnte ich nicht sehen, obwohl ich S[ ] erkannte, der auf dem Dach war.

F: Wer ist dieser S[ ]?

A: Er war ein Beamter der Feuerwehr.

F: Er ist der Feuerwehrleiter, den Sie an dem Feuer erkannten und dem die Feuerwehrleute unterstanden?

Gericht zum Zeugen: Er war der Vorgesetzte der Leute, von denen Sie sagten, daß Sie sie dort gesehen hätten.

Zeuge zum Gericht: Nein.

Staatsanwalt: Von den Angeklagten, die Feuerwehrleute waren, war S[ ] der Leiter.

A: Ja.[...]

F: Sahen sie Z[ ] wieder, nachdem Sie von der Polizeidienststelle weggegangen waren?

A: Ja, nachdem kehrte ich zur Polizeidienststelle zurück und Z[ ] und Sch[ ] waren dort.

F: Um wieviel Uhr war dies etwa?

A: Dies war etwa 4.30 bis 5.00 Uhr.



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F: War dies die Zeit, als Sie zur Polizeidienststelle zurückkehrten?

A: Ja.

F: Was tat der Angeklagte Sch[ ] bei der Polizeidienststelle um diese Zeit?

A: Als ich eintrat, saß Sch[ ] an dem Telefon und telefonierte.

F: Hörten Sie, was er sagte?

A: Aus der Unterhaltung konnte ich entnehmen, daß er mit dem Gauleiter in Köln sprach.

F: Sagte er etwas in das Telefon oder zu Z[ ], was Sie gehört haben?

A: Ja, das was ihm durch das Telefon gesagt wurde, wiederholte er Z[ ] gegenüber.

F: Und was war das?

A: Er sagte zu Z[ ], "Die Synagogen in Düren, Düsseldorf und Bonn brennen."

F: Erwähnte er irgendwelche anderen Orte?

A: Er mag noch andere Orte genannt haben. Aber ich erinnere mich nur dieser Genannten.

F: Sagte er irgendetwas anderes zu Z[ ] über seine Anweisungen oder seine Unterhaltung mit dem Gauleiter in Köln?

A: Ja, er sagte, Plünderung darf nicht stattfinden.

F: Antwortete Z[ ] irgendetwas dem Sch[ ], als er ihm dies sagte?

A: Ja. Z[ ] sagte, "Das ist in Ordnung. Wir werden es so machen, wie wir wollen."

F: Fand irgendeine weitere Unterhaltung zwischen den Beiden statt, die Sie mit anhörten?

A: Unter den Beiden nicht.

F: Hörten Sie, daß Z[ ] Befehle oder Anweisungen an irgendjemanden sonst gab?

A: Ja. Es waren SS-Männer zugegen, denen er die Anweisungen gab, daß sie, wenn die Synagoge brenne, in die Stadt gehen sollten und die jüdischen Geschäfte zerschlagen sollten.

F: Bezeichnete er irgendein einzelnes jüdisches Geschäft besonders mit Namen?

A: Nein.

F: Wußten Sie zur Zeit als der Befehl gegeben wurde, ob die Synagoge noch brannte?

A: Ja, zu dieser Zeit fing sie gerade richtig an zu brennen.

F: Sprach Z[ ] zu Ihnen?

A: Später sprach er zu mir und ich wurde gebeten, die SS-Leute herauszuschicken.

Gericht: Heißt dies, aus der Polizeidienststelle hinaus?

A: Nein, als ich hörte, wie dieser Befehl gegeben wurde, ging ich hinaus und sagte meinen Leuten, daß sie in der Nähe der jüdischen Geschäfte bleiben sollen, um sie zu schützen.

Gericht: Sie meinen also mit anderen Worten, daß Sie zu Ihren regulären Polizeileuten gingen und sagten, daß diese SS-Männer angewiesen worden seien, diese jüdischen Geschäfte niederzubrennen und sie müßten ihre Pflicht tun und sie beschützen. Ist das richtig?

A: Ja. Das war der Grund, weshalb ich meine Leute in diesen Straßen aufstellte und ich hatte ihnen gesagt, daß die Läden zerschlagen werden müßten, und sie müßten dieses verhindern.

Staatsanwalt an Zeugen: Was sagte Z[ ] zu Ihnen, als er von dem Befehl, den Sie gegeben hatten, erfuhr?

A: Er machte mir Vorwürfe und fragte mich, wer mir den Befehl gegeben habe, Polizeileute in den Straßen aufzustellen?

F: Was antworteten Sie?

A: Ich sagte ihm, daß ich das Telefongespräch mit angehört hätte und daß eine Plünderung nicht stattfinden dürfe und daher habe ich dies getan aus eigener Entschließung.

F: Und was bemerkte er?

A: Z[ ] sagte mir: "Das werden wir später noch sehen".

Gericht: Zu dieser Zeit war "Z[ ]" Ihr Vorgesetzter, nicht wahr?

A: Ja.[...]"



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